Wie weit sind Sie in Ihrem Leben schon geflogen?

25 Jahre nach dem Linienstart: Lufthansa fliegt noch einmal Umweg von FRA nach LEJ

Von Lars Müller

Von Frankfurt am Main nach Leipzig/Halle - eigentlich ein Katzensprung. Die 310 Kilometer schafft die Deutsche Lufthansa mit ihren Jets heute nicht selten in einer reinen Flugzeit von 35 bis 40 Minuten. Flug LH 1989 benötigte am 10. August 2014 allerdings knapp 90 Minuten. Mit dem Sonderflug erinnerte die Kranichairline an das 25. Jubiläum der Streckenaufnahme Frankfurt-Leipzig. Und dieser Flug mit dem Airbus A 320 "Halle an der Saale" (D-AIQF) folgte der historischen Streckenführung - über Bamberg, Bayreuth, an Pilsen, Prag und Dresden vorbei. An Bord waren Zeitzeugen von Lufthansa, Interflug sowie dem Flughafen Leipzig, Pressevertreter und Leser zweier Tageszeitungen aus Mitteldeutschland, die ihre Tickets gewonnen hatten.

Im Sommer 1989, Wochen vor dem Mauerfall, durfte keine deutsche Airline die damalige innerdeutsche Grenze überfliegen. Die Alliierten hatten die Air Defence Identification Zone, einen 30 bis 40 Kilometer breiten militärischen Kontrollbereich, eingerichtet. Drei Luftkorridore gab es zwar, diese aber waren insbesondere den Airlines der Alliierten vorbehalten - allen voran Pan Am, British Airways und Air France im Verkehr nach Berlin-West. Der Lufthansa blieb für ihre Flüge in die zweitgrößte Stadt der DDR, die sächsische Messemetropole Leipzig, nur der Umweg über die damalige Tschechoslowakei. Diese Gesamtstrecke betrug 700 Kilometer, wodurch auf jedem Flug 1.400 Liter Treibstoff zusätzlich durch die Triebwerke geblasen wurden. Doch Wirtschaftlichkeit stand auf dieser symbolträchtigen Strecke seinerzeit nicht im Vordergrund, ging es doch auch darum, ein Zeichen zu setzen für die Annäherung beider deutscher Staaten.

Die Linie zwischen Frankfurt und Leipzig war damals eine sprichwörtliche Weltreise - vom freien Westen in den Ostblock. Der damalige Flugkapitän Jürgen Raps sprach später davon, dass die Lufthansa ein erstes Loch in die Mauer geflogen habe. Die SED-Diktatoren in Ost-Berlin sahen das mit Sicherheit anders, hatten sie doch trotz Gorbatschows Entspannungspolitik und der Flucht tausender DDR-Bürger über Ungarn in den Westen die Zeichen der Zeit im Sommer ´89 bekanntlich längst nicht erkannt. Nichtsdestotrotz wurde auch in den Ostmedien über den Erstflug LH 6010 berichtet - offiziell wurde von einer Ausweitung des Messeverkehrs gesprochen, obwohl freilich in einem August nie eine große Leipziger Messe stattfand. Sonderflüge zu Messen gab es hingegen einige Jahre schon - durchgeführt von Lufthansa und Interflug. Mit der Landung der Boeing 737-300 "Reutlingen" (D-ABXT) am 10. August 1989 in Schkeuditz - der Leipziger Flughafen erinnerte an einen Kiosk mit Landebahn - wurde allerdings regulärer Linienflugverkehr zwischen der BRD und der DDR gestartet. Immer montags und donnerstags kam die Kranichairline mit Umweg über die Grenze, die Interflug eröffnete einen Tag später die Linie Leipzig-Düsseldorf.


Günstigste Tickets für 422 D-Mark

Der damalige Technik-Vorstand, spätere Lufthansa-Chef und heute Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats, Jürgen Weber, erinnerte sich auf dem Jubiläumsflug an die lange Vorbereitung der Linienaufnahme. Das diese vor dem Mauerfall gelang, schreibt er insbesondere den intensiven Beziehungen zur Interflug zu. Die Lufthansa war an der Einführung der A310 bei Interflug beteiligt, hat bei der Auswahl des Flugzeugmodells beraten, das Personal geschult und die Maschinen später gewartet. Weber war im August 1989 selbst an Bord des Erstflugs nach Leipzig, den er als emotionales Erlebnis beschreibt - nicht zuletzt auch für ihn ganz persönlich, da seine Gattin aus Chemnitz stamme. An Bord dieses Erstfluges waren vor allem Geschäftsleute mit langjährigen Kontakten in die DDR, Medienvertreter und eine Delegation der Lufthansa sowie zwei zahlende Gäste - das Rentnerehepaar Odilia und Martin Rothe aus Würselen bei Aachen, die zum Verwandtenbesuch nach Weißenfels flogen. In der Business-Class wurde ein Round-Trip für 758 D-Mark angeboten, der "Flieg- und Spartarif" kostete 422 D-Mark. Erstmals konnten Westdeutsche auch Tickets für Verwandte oder Freunde aus der DDR kaufen und bei Interflug hinterlegen lassen. Ausreisen ins nichtsozialistische Ausland hatte die DDR damals allerdings nur ihren Rentnern genehmigt oder - in politischem Tauwetter - willkürlich auch DDR-Bürgern, die zu Familliejubiläen und Geburtagstagen ihre Verwandten im Westen besuchen durften. Allerdings erfolgten derartige Reisen überlicherweise mit Interzonen-Zügen der Reichs- und Bundesbahn.

Die Abwicklung des Erstflugs selbst sowie des Linienverkehrs habe die Lufthansa nicht vor größere Herausforderungen gestellt, sagt der seinerzeitige Technik-Vorstand Weber. Den Flughafen kannte man von den Messesonderflügen, hat vor der Betriebsaufnahme dort eine kleine Station errichtet und zur Sicherheit noch einen Techniker an der Bord der Boeing mitgenommen, um etwaige kleinere technische Probleme schnell beheben zu können. Die "Reutlingen" war erst wenige Monate zuvor an Lufthansa ausgeliefert worden, seit Ende 2012 gehört diese 737 nicht mehr zum Bestand der Kranichairline. Weber resümierte, man könne 25 Jahre später stolz auf das Erreichte sein, wenngleich sich nicht alle Erwartungen des Wendeherbstes erfüllt hätten. Gerade die einstigen Interflug-Mitarbeiter werden das genauso sehen, hatte die DDR-Gesellschaft mit Grenzöffnung doch große Pläne, wurde 1991 jedoch abgewickelt. "Geschichte ist Menschenwerk", sagte 24 Jahre nach der Wiedervereinigung Jürgen Weber, ein Manager der alten Schule bewies, dass Gewinnstreben im Geschäftsleben auch Platz für Emotionen lässt.


Für Stewardess ein "Flug in die Heimat"

Als besonderen Flug in ihrer 42-jährigen Lufthansa-Karriere bezeichnet Barbara Boday den Premierenflug am 10. August 1989. Die 75-jährige gebürtige Thüringerin war unter anderem für die Vorbereitung der Kabinencrew zuständig und selbst mit an Bord. Es sei eine Art "Flug in die Heimat gewesen". Noch immer ist die agile Seniorin, die sich elegant wie eine aktive Flugbegleiterin sicher durch den schmalen Flugzeuggang bewegt, sichtlich ergriffen, wenn sie Fotos vom damaligen Flug zeigt. Man habe Passagiere darauf hinweisen müssen, dass sie keine Westzeitungen und Illustrierte mit von Bord nahmen. Die Einfuhr war untersagt. Der Crew habe man erlaubt, von Standardansagen abzuweichen. Allerdings sollte auf politische Statements verzichtet werden.

Für die Cockpit-Crew vom LH 1989 sei der Jubiläumsflug von Frankfurt nach Leipzig/Halle auch ein ganz besonderes Erlebnis, sagte Flugkapitän Sascha Unterbarnscheidt, der Flottenchef der A320-Familie. Er habe als Abiturient im Westen die Wendezeit erlebt. Gemeinsam mit Bastian Stank flog er 25 Jahre später die Passagiere mit dem Umweg nach Leipzig/Halle und als LH 2014 auf direktem Weg wieder zurück. Die Anmeldung des Fluges mit der ungewöhnlichen Route habe bei der Flugsicherung durchaus für Verwunderung gesorgt, erklärte Unterbarnscheidt. Üblicherweise ist es Bestreben und Anspruch der Crews, ihre Gäste möglichst wirtschaftlich und umweltfreundlich ans Ziel zu bringen.


Doppelte Premiere für Gewinner

Die Gewinner haben das Erlebnis augenscheinlich genossen: Der 19-jährige Azubi Tim Ludwar fand es einfach nur "super". Für den Luftfahrtfan war es eine Premiere in mehrfacher Hinsicht: Noch nie zuvor war er mit der Lufthansa geflogen, und auch der Frankfurter Flughafen war für ihn Neuland. Mit zahlreichen Fotos und Videos hat er für sich den besonderen Sonntag im Sommer 2014 dokumentiert. Gerhard Krueger hat alte Zeitungsausschnitte aus dem Sächsischen Tageblatt mitgebracht. Der 66-Jährige beobachtet nach eigenen Angaben die Entwicklung an seinem "Heimatflughafen" Leipzig/Halle sehr interessiert. Den ersten Lufthansa-Flug vor 25 Jahren habe er durchaus bewusst wahrgenommen - direkt mit der bevorstehenden politischen Wende in Verbindung gebracht, habe er ihn jedoch nicht. Die Montagsdemos in Leipzig und anderen Städten, die schließlich die Mauer zu Fall brachten, begannen erst später, betonte der Mann aus dem Leipziger Umland.

Die Lufthansa und ihre Töchter haben seither inzwischen weit mehr als 30 Millionen Passagiere von und nach Leipzig/Halle sowie Dresden geflogen - überwiegend direkt zu Inlandszielen und Umsteiger zu den Drehkreuzen in Frankfurt, München und Düsseldorf. Unmittelbar nach der Wende nutzten viele Pendler die Flüge - montags nach Osten und donnerstags oder freitags wieder zurück in den Westen. Die A320 "Halle an der Saale" - 1991 an die Lufthansa geliefert - war dabei regelmäßiger Gast in Leipzig/Halle und Dresden. Drei Tage nach dem Jubiläumsflug sollte die Maschine an die Germanwings abgegeben werden und fortan namenlos mit neuer Kabinenausstattung und Bemalung auf dezentralen Strecken abseits von Frankfurt und München fliegen.

Lars Müller, Stand August 2014, Bildquelle: FlugStatistik.de


Vor der Landung in Leipzig-Halle drehte die Maschine noch eine Runde über die Leipziger City
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